Neue Klassifikation der PA-Erkrankungen … wie gehen wir damit in der Praxis um?

 

Die 5. deutsche Mundgesundheitsstudie zeigt, dass 51,6% der 33 – 45-jährigen an einermittelschweren und 10% an einer schweren Parodontitis erkrankt sind. Das heißt jederzweite in dieser Altersgruppe ist an einer mittelschweren und jeder zehnte an einerschweren Parodontitis erkrankt.

Heike Wilken

 

Das Tückische: Der Patient spürt die Erkrankung häufig nicht.   Gelegentliches Zahnfleischbluten beim Zähneputzen wird zwar beobachtet, aber häufig toleriert – „Das habe ich schon seit Jahren“, sagen dann die Patienten oft.    Parodontalerkrankungen haben aber auch einen negativen Einfluss auf den gesamten Organismus. Wechselwirkungen bzw. Zusammenhänge mit Diabetes mellitus und koronaren Herzerkrankungen gelten heute als sicher. Wie begegnen wir dieser Herausforderung in der Praxis?

 

/// Neue Klassifikation – umsetzbar?

Auf der letzten Euro Perio-Tagung in Amsterdam wurde die neue Klassifikation parodontaler und periimplantärer Erkrankungen vorgestellt. Damit wurde erstmalig die parodontale Gesundheit definiert, die Einteilung in „chronische“ und „aggressive“ Parodontitis wird durch ein „Staging“ und „Grading“ ersetzt und eine neue Klassifikation für periimplantäre Gesundheit, periimplantäre Mukositis und Periimplantitis vorgestellt. Schließlich gibt es jetzt durch die neue Klassifikation 36 unterschiedliche Möglichkeiten der Einstufung? Kann man das überhaupt alles in den Praxisalltag integrieren, funktioniert das überhaupt? Doch es geht, sogar sehr gut … ich habe es anhand eines Patientenfalls einmal zusammengestellt.

In unserer Zahnarztpraxis führen wir ein einheitliches Präventions-Konzept durch. Als professionelles Hilfsmittel nutzen wir seit 6 Jahren das Programm ParoStatus.de. Es ist mittlerweile in unserer Praxis zu einem festen Bestandteil geworden und ist aus unserem Konzept gar nicht mehr wegzudenken.

 

Im September 2019 wurde die neue Klassifikation der Parodontalerkrankungen in ParoStatus.de integriert. Nun ist es möglich, mit nur einem Maus-Klick, die Einteilung nach Stages and Grades vom Programm individuell für den Patienten berechnen zu lassen.

 

Die Vorgehensweise und Umsetzung möchten wir Ihnen in diesem Fallbericht erläutern.

 

/// Fallbericht

Eine heute 48 Jahre alte Patientin wird seit dem 14.08.2014 bei uns in der Praxisbetreut. Die Patientin wurde von ihrem HZA zu uns überwiesen, mit der Bitte um Weiterbehandlung. Die Patientin wurde seit Jahren in der Praxis betreut, in Abständen von 4 Monaten wurden PZR durchgeführt. Nun hatte die Patientin das Gefühl, dass sich ihre Situation verschlechtere. Aus diesem Grund hat der HZA die Patientin zu uns überwiesen.

1. Einführungsgespräch:

  • Anamnese: keine Allgemeinerkrankungen und keine Medikamenteneinnahme.
  • Rauchen: 10 -15 Zigaretten pro Tag.

 

2. Befundaufnahme:

  • 01 Befund vom 14.08.2014
  • Konservierend versorgtes Kauorgan bei dysnather Verzahnung. Sagittale
  • Frontzahnstufe von ca. 5 mm. Alle Achter fehlen. Die Zähne 32 und 42 fehlen aus KFO-Gründen mit Lückenschluss.
  • Klinische Ausgangsbefunde im ParoStatus erhoben:
  • Folgende Parameter haben wir dokumentiert:
  • Kombination ST / AV
  • Blutung / Pus
  • Beweglichkeit
  • Furkation
  • Plaque Index
  • Diagnose:
  • Generalisierte Aggressive Parodontitis.(alte Klassifikation).

Generalisierte Parodontitis Stadium IV Grad C, reduziertes Parodont (neue Klassifikation).

 

3. Motivation:

Ausgehend von diesem Ausgangsbefund habe ich zuerst zwei Sitzungen durchgeführt. Die erste Sitzung dauerte ca.90 Minuten – im Abstand von 10 Tagen fand die 2. Sitzung von einer Stunde statt.

 

4. Ablauf der initialen Sitzungen:

  • Arbeitsplatzvorbereitung
  • Mundspülung mit CHX 0,2 % vor jeder Sitzung.
  • Anfärben der Zähne.
  • Dokumentation Plaque- und Blutungsbefund
  • Motivation
  • Entfernung aller erreichbaren sub- und supragingivalen Beläge.
  • Glattflächenpolitur
  • Auswahl der Zahnzwischenraumbürsten und Instruktion.
  • Reinigung der Interdentalräume.
  • Zungenreinigung
  • Fluoridierung
  • Besprechung und Demonstration der ausgesuchten Hilfsmittel
  • Recall Dokumentation und Hygiene.

 

Da in der ersten Sitzung die Anamnese, der 01 Befund, der Parodontalstatus und der

Röntgenstatus angefertigt wurden, konnte ich anschließend mit dem Aufklärungsgespräch beginnen.

 

Bei der Motivation kommt es darauf an, dass die Patientin von Beginn an miteinbezogen wird und Eigenverantwortung für den Behandlungserfolg übernimmt. Nur

eine gut aufgeklärte und überzeugte Patientin, die die Befunde und Konsequenzen versteht und akzeptiert, wird dauerhaft mitarbeiten. Ich arbeite gerne mit visuellen Hilfsmitteln, da ich die Erfahrung gemacht haben, dass die Patienten die Situation viel

schneller verstehen. Bei der Software „Parostatus.de” gibt es die Möglichkeit, die ich gerne nutze, dem Patienten Befunde und kleine Videosequenzen auf dem iPad zu zeigen.

 

5. Die Reinigung

Anschließend erfolgte die Reinigung. Da ich mir für die Motivation sehr viel Zeit nehme, gebe ich der Patientin hier gern die Gelegenheit sich zu entspannen. Im Hintergrund läuft immer angenehme Musik. Dies sorgt für ein positives Umfeld. Je entspannter die Patientin ist, desto effektiver kann ich arbeiten. Ich arbeite zunächst mit Ultraschallgeräten und im Anschluss mit Handinstrumenten. Die Kombination aus Handinstrumenten und Ultraschall hat sich bewährt, wird aber immer indikationsabhängig eingesetzt.

6. Politur:

Luft-Pulver-Wasserstrahl-Geräte sind auch bei uns in der Praxis nicht mehr

wegzudenken. Für das subgingivale Biofilmmanagement nutze ich das niedrig-abrasive

Glycinpulver. In der ersten Sitzung wird es aber nur selten eingesetzt, da die Gingiva in den meisten Fällen stark entzündet ist, da macht es keinen Sinn. In der Erhaltungstherapie verwende ich das Pulverstrahlgerät sehr gerne.

Danach habe ich alle Glattflächen mit einer selbstreduzierenden Polierpaste poliert und die Zahnzwischenraumpolitur mit Zahnseide durchgeführt. Zum Abschluss der

Behandlung habe ich an den exponierten Wurzeloberflächen einen CHX Lack

aufgetragen.

7. Mundhygieneempfehlung

Der nächste Schritt ist die Mundhygieneempfehlung. Alle Empfehlungen werden vom ParoStatus.de-Programm in einem individuell angefertigten Patientenausdruck dokumentiert. Den Ausdruck samt Zahnschema mit den ausgesuchten Interdentalraumbürstchen kann die Patientin beispielsweise an den Badezimmerspiegelkleben und sich so besser an die interdentale Reinigung gewöhnen. Meine Patientin hat sich die Pflegeanleitung per App auf ihr Handy geladen. Das hat den zusätzlichen Vorteil, dass sie die Anleitung auch als Einkaufsliste nutzen kann, denn alle Produkte erscheinen zur besseren Wiedererkennung mit einem Foto.

 

8. Weiterbehandlung
Die zweite Sitzung brachte durch die gute Mitarbeit der Patientin entscheidende Verbesserungen beim Plaque- und Blutungsbefund.

3 Wochen später wurde die PA-Therapie inkl. Deep Scaling und Root Planing durchgeführt. Verordnet wurde durch unseren Chef im Anschluss eine Antibiose. Es wurde der Winkelhoff-Cocktail eingesetzt.

Eine Woche später fand eine Nachkontrolle statt. Die Patientin hat das Antibiotikum eingenommen und gut vertragen.

3 Monate später, in der Reevaluation-Sitzung, wurden alle Parameter neu bewertet und dokumentiert. Die Sondierungstiefe konnte in allen Bereichen deutlich reduziert werden.

 

9. Recallplanung

Bei der Recallplanung und der Einteilung der Klassifikation unterstützt uns in unserer Praxis das Programm ParoStatus.de. Aus den aufgenommenen Parametern wird das Recall-Intervall berechnet. Das hat den Vorteil das die Recallberechnung immer einheitlich ist.

 

Bei meiner Patientin wurde ein Recall-Intervall von 4 Monaten empfohlen. Seit 2014 kommt die Patientin alle 4 Monate zur UPT. Bewerte ich die Patientin nach der neuen

Klassifikation, so ist die Diagnose: Generalisierte Parodontitis Stadium IV, Grad C, erfolgreich behandelt!

Die neue Klassifikation zeigt nun auf, dass diese Patientin erfolgreich therapiert ist – ein tolles Motivation-Signal in Richtung Patient!

Die Patientin muss natürlich lebenslang in eine Unterstützende Parodontitis Therapie

eingebunden werden, dadurch haben alle Zähne eine gute Prognose und können weiterhin, bei regelmäßigen UPT Sitzungen, langfristig erhalten werden.

 

/// Fazit

Insgesamt gesehen bietet die Staging- und Grading-Einteilung große Vorteile

hinsichtlich einer individualisierten Diagnose und damit auch Therapie – ganz im Sinne

einer personalisierten Zahnmedizin. Aber wichtig ist, der bestmögliche und angestrebte Langzeiterfolg kann nur auf Grundlage eines individuellen und strikten

Behandlungskonzeptes erzielt werden. Die regelmäßige Unterstützende Parodontitistherapie durch uns, ein motivierter und informierter Patient, der seine Recall-Termine zuverlässig wahrnimmt …. Das ist DAS Erfolgskonzept!

 

– AUTORIN

Heike Wilken, Dentalhygienikerin

– KONTAKT

Deutsche Gesellschaft für Dentalhygieniker/Innen e.V. (DGDH)
Fasanenweg 14
48249 Dülmen