Verletzung von Unterrichtungspflichten als wichtiger Kündigungsgrund

Wann eine Kündigung berechtigt ist oder nicht, ist immer wieder Gegenstand von gerichtlichen Verfahren. Gerade in Fällen, in denen Arbeitgeber eine fristlose Kündigung aussprechen, ist ein genauer Blick auf die konkreten Einzelfallumstände erforderlich, um die Sach- und Rechtslage richtig einzuschätzen.

Jennifer Jessie

 

Auch wenn Arbeitgeber mit einer fristlosen Kündigung erstmal Fakten schaffen, müssen sie sich oftmals einer gerichtlichen Auseinandersetzung stellen, weil Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage einreichen, um die Wirksamkeit einer Kündigung auf den Prüfstand zu stellen. Wird die Kündigung als unwirksam angesehen, gilt das Arbeitsverhältnis nicht als beendet. Entsprechend muss der Arbeitgeber Lohn nachzahlen. Da sich gerichtliche Verfahren ziehen können und somit erhebliche Lohnnachzahlungen drohen, sollten Arbeitgeber am Besten schon im Vorfeld Rechtsrat einholen, um zu klären, ob überhaupt ein Kündigungsgrund vorliegt oder nicht und ob nicht andere Maßnahmen, so insbesondere eine Abmahnung, vorgeschaltet werden muss.

 

/// Wann ist eine fristlose Kündigung wirksam?

Gemäß § 626 BGB kann einem Arbeitnehmer fristlos gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, so dass selbst ein Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist für den Arbeitgeber unzumutbar ist. Im wesentlichen muss also zum Einen ein wichtiger Grund für die Kündigung vorliegen, zum Anderen muss das Einhalten der Kündigungsfrist unzumutbar sein. Beide Aspekte müssen bejaht werden, was im Umkehrschluss bedeutet, dass selbst bei Vorliegen eines wichtigen Grundes eine Kündigung daran scheitern kann, dass sie im Gesamtkontext unter Abwägung der beiderseitigen Interessen unverhältnismäßig war.

 

/// Verletzung von Unterichtungspflichten als wichtiger Kündigungsgrund

So lag es auch in einem Fall, welches vom Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 21.01.2021 (5 Sa 667/20) entschieden wurde.

 

Hier ging es um eine Fachkrankenschwester, die den diensthabenden Arzt nicht über deutliche erhöhte Kaliumwerte im Blut eines Patienten informiert hatte. Die Verletzung von Unterrichtungspflichten hinsichtlich einer potentiell lebensbedrohlichen Lage einer Patientin stellt eine Pflichtverletzung dar, nämlich eine Verletzung der vertraglichen Nebenpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB. Danach ist jede Partei eines Arbeitsvertrages zur Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Vertragspartners verpflichtet. Ein Arbeitnehmer hat demnach seine Verpflichtungaus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie ihm dies unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann (BAG, Urteil vom 25. April 2018, 2 AZR 611/17). Dazu gehört nach Auffassung des LAG auch die Pflicht des ärztlichen Hilfspersonal den diensthabenden Arzt im Falle der Messung eines Kaliumwertes, der an sich oder jedenfalls unter bestimmten hinzutretenden Umständen eine gesundheits- und lebensbedrohliche Lage indizieren kann, unverzüglich zu informieren. Dies gilt auch unabhängig von der eigenen Expertise des ärztlichen Hilfspersonal sowie unabhängig davon, ob bereits die richtigen Schritte seitens des Hilfspersonals eingeleitet wurden und ein Schaden überhaupt eingetreten ist:

 

„Die dem Arbeitgeber zumindest potenziell drohenden Folgen einer Schädigung des Patienten bedingen die arbeitsvertragliche Verpflichtung der Pflegekraft, den Arbeitgeber hiervon unverzüglich und nicht erst im Rahmen einer späteren Visite zu unterrichten. Das Ausmaß der potenziell drohenden negativen Folgen für die Interessen des Arbeitgebers geben dem Verstoß gegen diese Verpflichtung die Qualität eines an sich zur außerordentlichen Kündigung geeigneten Grundes.“

 

/// Trotz Kündigung muss Kündigung verhältnismäßig sein

Obwohl das Gericht in der Verletzung von Unterrichtungspflichten einen wichtigen Kündigungsgrund bejahte, scheiterte die Wirksamkeit der Kündigung letztlich daran, dass das Gericht die Kündigung für unverhältnismäßig hielt. Das Gericht ging davon aus, dass eine Abmahnung im vorliegenden Fall ausgereicht hätte, denn hierdurch wäre eine Verhaltensänderung der Klägerin zu erwarten gewesen.

 

/// Praxistipp

Die Verletzung von Unterrichtungspflichten durch ärztliches Hilfspersonal, die die Gesundheit der Patienten betreffen, kann ein Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. Das Vorliegen des Kündigungsgrundes allein reichtallerdings nicht, denn eine Kündigung muss auch immer verhältnismäßig sein. Dies ist dann nicht der Fall, wenn bereits mit einer Abmahnung erwartet werden kann, dasseine zukünftige Verhaltensänderungdes betroffenen Arbeitnehmers eintritt. Nur in Ausnahmefällen kann davon abgesehen werden. Der Fall des LAG Berlin-Brandenburg verdeutlicht insofern nochmal die hohen Anforderungen an eine Kündigung. Eine fristlose Kündigung ist nur das letzte Mittel der Wahl. Arbeitnehmern soll in aller Regel eine zweite Chance gegeben werden. Vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung sollte daher anwaltlicher Rat eingeholt werden, wenn man einen zeit- und kostenintensiven Rechtsstreit vermeiden will.

– AUTORIN

Jennifer Jessie
Rechtsanwältin,
Fachanwältin für Medizinrecht

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